Schaut man sich die jetzt erschlossenen Mappen aus Kleibers Atelier an, dann lässt sich eindeutig sagen, die Gesichter-Serie war nicht nur, wie vielfach behauptet, ein Nebenzweig des Linienprojektes. Als inszenierte Grenzüberschreitung war sie einer der von Kleiber bewusst eingesetzten Ankerpunkte in der sich langsam erschließenden Topographie seines grafischen Gesamtwerkes. Wenn man sich anschaut, wie sehr Kleiber sich zeitlebens gegen gegenständlichen Interpretationen zur Wehr gesetzt hat, wie sehr er sich dagegen gewehrt hat, gegenständliche Interpretationsversuche aus seinen mit viel Fantasie und Detailliebe vergeben Titeln abzuleiten, dann kann es schon verwundern, dass dem Gesicht mit einer ganzen Serie als Thema ein solches Areal eingeräumt wird. Schon bei dem Projekt „Engel“ hatte Kleiber mit diesen Argumenten zu kämpfen. Hier konnte er noch darauf verweisen, dass der Engel als Repräsentant der Gattung des nicht-körperlichen ein für die Grenzen der Abstraktion geeigneter Gegenstand sei. Aber das Gesicht? Kleiber geht es um den Ausdruck, geht es um das reduzieren auf ein Wenigeres, in dem die Gesamtheit des Ganzen liegt. Damit ist er dann ganz und im Kern seines Abstraktionsbegriffs: Abstraktion ist Konzentration, ist das Mehr durch Weniger.
Grenzlinien
von Michale Antenberg am 21. November 2015, keine Kommentare