Es gibt einen Brief Kleibers an seinen Freund Paul Angerer, in dem er recht ausführlich über seinen ersten Besuch in der Villa Lambertio berichtet. Es ist ein für Kleiber außerordentlich langer Brief, offensichtlich über mehrere Tage geschrieben, die verwendeten unterschiedlichen Stifte sprechen dafür, und auch der ungleichmäßig verschobene Zeilenabstand, auf zwei der insgesamt sechs Bögen. Wenn er auf unliniertem Papier schrieb, benutzte Kleiber ein Linienblatt. Über die Tage ist es offensichtlich mehrfach verrutscht. Dafür, dass der Brief nicht nur für den Adressaten gedacht, sondern auch seinem Schreiber für die eigene Erinnerung wichtig war, spricht, dass Kleiber sich auf dem kleinen Tischkopierer, den er in seinem Atelier hatte und den er auch für seine grafischen Arbeit sehr schätzte, eine Kopie des Briefes machte. Nur über diese Kopie haben wir heute die Kenntnis des vollständigen Textes. Die Kopie fand sich bei der Durchsicht einer Mappe mit Entwürfen für Druckgrafiken und Zeichnungen die aus einer der Kisten des italienischen Ateliers stammen.
Ein großer Teil des Briefs ist der Schilderung des Gartens, und der ihm dort begegneten Eindrücke, gewidmet. Der Besuch sei, schon allein wegen der alten Bäume – vermutlich Oliven und Pinien –, für ihn ein Glück gewesen, schreibt er. Aus seinen Sätzen spricht eine, für den ansonsten meist zurückhaltend auftretenden Kleiber, ganz ungewöhnlichen Begeisterung. Er schildert Licht und Komposition des Eindrucks und eine Szene spielender Kinder – vermutlich die Tochter Lambertios und zwei Nachbarskinder –, auf der in den Garten übergehenden hinteren Terrasse der Villa. Es ist die wortreich unreflektierte aber dessen ungeachtet sehr authentische Schilderung einer pittoresken Idylle. Offensichtlich ist dies Kleiber selber aufgefallen, denn einige Sätze später bemerkt er, dass der Blick, den er auf den Garten hat, so gar nicht dem Anspruch der ihn treibenden stets reduzierenden Abstraktion entspricht. „Ich bemühte mich ja um Sachlichkeit, um ein Auge für die reine Form, die all diesem so Anmutigen zugrunde liegt“, schreibt er, „aber es waren so viele und so harmonisch ineinander und aufeinander abgestimmte Formen und Farben, dass ich mich gar nicht mehr in der Lage sah zu reduzieren, es auch gar nicht mehr wollte.“ Italien sei, so Kleiber, für die aus nördlicheren Gefilden Kommenden und von dem so anderen Licht des Nordens Geprägten, doch auch immer das unbewusst mit sich getragene Sehnsuchtsland. Bild und Vorbild sieht er sich durchdringen und er setzt sich in zwei langen Absätzen mit der Wirkung des von Goethe inspirierten Italienbilds auseinander. Dann schreibt er über einen, wie er bemerkt, ihm selber äußerst seltsam anmutenden Gedanken. Er sei ihm zugeflogen „wie eine unwiderstehliche Wallung eines Hauchs milder Luft“. –Auch das eine für Kleiber sehr ungewöhnliche Formulierung. – Er habe sich eine klassische Staffelei gewünscht und hätte eine auf geflügelten Sandalen daher eilende Inkanation einer altrömischen Gottheit ihm den Pinsel Rodins gereicht, er hätte ihn genommen und mit genau diesem Strich die Idylle auf die wartende Leinwand gebannt.
Im Inneren der Villa war er dann von der sehr hochwertigen, formal bewusst schlichen Ausstattung angenehm angetan. Er empfand sie „als eine wohltuende Entspannung“, eine „die Realität der Moderne achtende“ Geste und als „einen wohl auch notwendigen Gegensatz“ zu der die Villa umgebenden Idylle. Vor allem aber, und hier ist der Brief sicherlich zuvorderst eine Empfehlung an den Lambertio noch nicht kennenden Adressaten, sei die Gestaltung der Innenräume Ausdruck des Geschmacks seines Gastgebers. Es ist bekannt, dass Kleiber Lambertio außerordentlich schätzte, was ihn aber nicht hinderte sich mit ihm heftig über ihn besonders erregende Fragen auseinanderzusetzen. Davon findet sich in diesem Brief aber nichts. Auch in der Frage, ob der Besuch Kleiber zu neuen Werken inspirierte, findet sich in dem Brief kein Hinweis. Wenn man das überlieferte Werk zugrunde legt, hat er wohl der Versuchung widerstanden Idyllen zu zeichnen.
Angerer antwortet auf Kleibers Brief mit einer seiner schwarzen Postkarten. Sich offensichtlich auf die ausführlichen Schilderungen der idyllischen Szenen im Garten der Villa Lambertio beziehend bittet er Kleiber, doch von literarischen Ambitionen gleich welcher Art – und seien es nur die eines Briefeschreibers – abzusehen. Er solle lieber bei seinen abstrakten grafischen Kompositionen bleiben und könne seine literarischen Ambitionen ja bei der Wahl der Titel für seine Grafiken ausleben. Die Reaktion Kleibers auf die Antwort des Freundes ist nicht belegt. Bekannt ist aber, dass Kleiber die Karte an die Pinnwand in seinem Atelier geheftet hat.