Paul Julius Kleiber

Die Sprache der stillen Linien und freien Bögen

Untertitel

von Michale Antenberg am 23. März 2014, keine Kommentare

Kleibers Werk, insbesondere das formal sehr strenge grafische Werk, schwingt zwischen der sich ganz klar jeder Deutung verweigernden Abstraktion, wie sie sich in der reinsten Form in der Serie der „Sinnbefreiten Linien“ findet, und einer poetisch verspielten, gleichermaßen hintergründig wie hintersinnig inspirierend sinnbelegenden Be-Zeichnung seiner Zeichnungen, die in den meist mehrzeiligen Untertiteln des Spätwerks ihren Höhepunkt findet.

Es ist sicher, dass die „Sinnbefreiten Linien“ bei ihrer Entstehung im Jahre 1917 nur mit Nummern versehen waren. Kleiber wies sogar ausdrücklich darauf hin, dass auch in diesen Nummern kein Sinn oder eine Bedeutung zu sehen sei. Sie wiesen nicht einmal auf die Reihenfolge ihrer Entstehung hin. Vielmehr seien sie völlig willkürlich gewählt. Ihre einzige Funktion sei es, die Linien, für Katalog und Ausstellung, unterscheidbar zu machen.

Später, wahrscheinlich bei seinem ersten Romaufenthalt, hat er dann, so wie für die meisten der später entstandenen Werke, auch für die damals viel Aufmerksamkeit erregenden Linien, Subtitel entworfen. Bei den „Sinnbefreiten Linien“ finden sie sich, mit Bleistift und offensichtlich von der Hand Kleibers, auf der Rückseite der Blätter geschrieben.

Es ist nicht klar, wie Kleiber diese Titel verwendet hat. Waren es nur Gedächtnisstützen für Ihn, um sich Assoziationen zugänglich zu machen, die diese Linien im Laufe der Zeit oder schon bei der Entstehung bei ihm ausgelöst haben? Oder verlangten Galerist und Markt nach sprechenden Titeln, weil in den 1970er Jahren die reduzierte Abstraktion von 1917 einfach nicht mehr verständlich war. Zumindest bei den dokumentierten Ausstellungen und auch in den bekannten Katalogen, sind die „Bleistifttitel“ der „Sinnbefreiten Linien“ nicht in Erscheinung getreten. Andererseits finden sich in den Tagebucheintragungen Kleibers eine ganze Reihe von Verweisen auf die Titel, so dass davon auszugehen ist, dass er sie in jedem Fall zumindest für sich verwandte. So hat er bei der Wiederaufnahme bestimmter Linien als Thema für neue Werke nachweislich auf diese Titel rekurriert. Die Titel bilden eine Brücke von den rein abstrakten Werken zu den darstellenden Arbeiten Kleibers. Auch diese sind immer sehr der strengen Abstraktion verpflichtet, wie etwa die bereits 1913 in Nizza entstandenen Zeichnung einer Frau am Strand, die nur aus einer einzigen durchgehenden Linie besteht.

Vor diesem Hintergrund scheint es gerechtfertigt, bei der Präsentation der „Sinnbefreiten Linien“ auch die „Bleistifttitel“ mit zu veröffentlichen. Das birgt zwar die Gefahr mit sich, dass der für diese Werkserie konstitutiv Anspruch der reinen Abstraktion für den heutigen Betrachter etwas in den Hintergrund gedrängt wird. Aber ohne die Impulse dieser Subtitel fehlt dem Werk auch die kreativ belebende Spannung, die Kleiber offensichtlich empfand, und die zur Triebfeder für eine ganze spätere Schaffensperiode wurde.

Zyklus der sinnbefreiten Linien: