Im grafischen Werk Paul Julius Kleibers ist die Farbe nur in ganz wenigen Werken Thema. Zu diesen Ausnahmen gehören die Serie der „Linienschönheiten“, die Serie der „Durchdringungen“ und die „Überlagerungen“. Von einigen dieser Werke sind nur noch die Entwürfe erhalten, so auch von dem „Vierteiler“ der mit dem schlichten Titel „Linien“ eine Sonderstellung in den Werken der Jahre 1973/74 einnimmt. Ganz im Gegensatz zu der sonstigen Gepflogenheit Kleibers in dieser Zeit einem schlicht reduzierten Haupttitel längere, poetisch sprechende Untertitel an die Seite zu stellen, fehlt hier jede Erläuterung. Das Werk selber deutet sowohl auf die „Durchdringungen“ als auch auf die „Überlagerungen“ hin, ist aber in der Zusammenstellung so singulär.
Für die Serien, deren Gestaltprinzip aus sich überlagernden Linien-Matrixen bestand, war es naheliegend auf die Möglichkeiten zurückzugreifen, die Farbe bot. Doch gerade da, wo zu erwarten wäre, dass der Einsatz von Farbe zum Sichtbarmachen des Konstruktionsprinzips eingesetzt würde, nimmt Kleiber die Farbigkeit um sie in zurückgenommener Monochromität der Linien zu nutzen. „Zwei kaum zu unterscheidende Sorten von Linien, einander durchdringend“, das Werk von 1984, Mittelpunkt der letzten von Kleiber selber zusammengestellten Ausstellung, ist in Linien ausgeführt, die alle streng monochrom rot sind. Das Rot, für das Werk selber gar nicht notwendig, bekommt seine Bedeutung erst, wenn man es in seinen Entstehungszusammenhang einordnet und es mit den anderen Werken aus dieser Periode Kleibers konfrontiert.
Ganz deutlich wird das schon in dem erwähnten „Vierteiler“. Hier ist es das Gelb, das den Anfang macht und auf das Grün und Rot folgen. Das klassische Schwarz bildet den Abschluss. Es hat bei der ersten Präsentation dieser Serie eine intensive Diskussion über die Farbe gegeben. Einige Freunde Kleibers bestritten ganz vehement die Notwendigkeit des Gebrauchs unterschiedlicher Farben für das Linien-Projekt. Farbe, so ihre Überzeugung, lenke nur ab, von dem was eine Linie eigentlich ausmache und sei in keiner Weise von Bedeutung für ihren Charakter oder ihre Aussage. Sie meinten Kleiber verriete damit in gewisser Weise, und ganz ohne Notwendigkeit, eines der wesentlichen Prinzipien des Linien-Projekts.
Kleiber verteidigte sich mit dem Argument, die Verwendung unterschiedlicher, und zudem nach sehr strengen Kriterien bewusst ausgewählter Farben, sei eine nur konsequente Erweiterung und Fortschreibung des Projektes und führe zu einer Erschließung des eigentlichen Kerns seines mit dem Projekt verfolgten Anliegens. So, wie die Verwendung unterschiedlicher Stifte und druckgrafischer Verfahren sich auf die Linienführung und den Charakter der Linien und damit auf die Aussage des Werkes auswirkten, und von ihm auch immer ganz bewusst als Inspiration genutzt worden seien, so sei auch die Farbe ein Faktor, der sich wirkmächtig als Werksbestandteil zeige. Nur das Schwarz zuzulassen, sei eine unzulässige Einschränkung, die eigentlich schon viel früher hätte aufgehoben werden sollen.